Zur Erinnerung

an unseren liebenswerten Sohn und Bruder, einen treuen Freund und großartigen Lehrer!

"Was hätte es genützt, 50, 60, 70 Jahre alt zu werden?

Ich sah die Sterne leuchten und machte mich auf den Weg!"

(Eva Peron in "Evita")

 

  Martin Peter Miller

geboren am 31.10.1966 in Immenstadt

Abitur 1987 am Gymnasium Oberstdorf

Sanitätsdienst bei der Bundeswehr

Studium für das Lehramt an Gymnasien an der Universität Augsburg

1996 Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Lindenberg

verstorben am 3. April 1999 auf Rhodos

 

Was war passiert?

Mindestens 10 Tage war die Heizung im Hotel "Royal Village" bei Lindos defekt. Das nicht verbrannte, geruchlose und hochgiftige Kohlenmonoxyd konnte aus einem nicht isolierten und rissigen Kamin über einen nicht entlüfteten Versorgungsschacht in zwei Hotelzimmer, deren Klimaanlage ebenfalls defekt war, eindringen. Nach 6 qualvollen Tagen und Nächten in dem vergifteten Zimmer hatte Martin keine Chance mehr. Eine alte Frau aus Regensburg starb zwei Tage später, ein Arzt aus Hamburg und Martins Freundin Cordula erlitten schwere gesundheitliche Schäden.

Der Hotelbesitzer mit Namen Minettos hat sich bis heute nicht die Mühe gemacht, der Familie einige Worte des Beileids zu schreiben.

Nachdem wiederholte Anfragen bei der Staatsanwaltschaft Kempten zum Sachstand ohne Erfolg blieben, konnten wir nach 9 Jahren endlich über das deutsche Konsulat auf Rhodos in Erfahrung bringen, dass der  Prozess für den Hotelbesitzer mit einem Freispruch endete.

3. April 2009,10 Jahre danach....

"Begrenzt ist das Leben, doch unendlich die Erinnerung",  

schreiben seine Freunde, legen Rosen auf sein Grab.

Manchmal blättere ich in meinen Gedanken an dich wie in einem zerflederten Buch.

Zahllose ungeordnete Seiten, immer wieder neu, überraschend, doch vertraut und liebgeworden.

Scharfe Papierränder und weiche Bruchstellen, hin und wieder ein Eselsohr oder ein Riss,

und viele unbekannte und unberührte Seiten. Ein Buch, das sich nicht mehr zuklappen lässt.

Eine Zeile daraus, hier niedergeschrieben für dich.

*

Die Erinnerung

Alljährlich vor Weihnachten schrieb Martin märchenhafte Geschichten, die er an Menschen verschenkte, die er gerne mochte.

Es waren Geschichten und Gedichte,

geprägt von der tiefen Nachdenklichkeit einer verträumten Seele,

oft geschrieben "unter den Eichen", auf einer Bank unweit des Elternhauses

Tod eines Lehrers 

Noemi Schneider, eine seiner Schülerinnen, hat ihre Bestürzung über den Tod ihres Lehrers in bewegende Worte gefasst.

Neulich Samstagvormittag,

zwischen der zweiten Tasse Kaffee und einem Marmeladenbrötchen, las ich in der Zeitung, dass Frau X. aus Hannover bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und Britta A. aus Frankfurt sich von einer Brücke gestürzt hat. Ich kannte weder Frau X. noch Britta A. Es waren Namen, die ich wieder vergaß. Und dann lese ich, dass Herr M. auf Rhodos unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden wurde. Auf einmal halte ich inne, und das Marmeladenbrötchen fällt zu Boden, denn ich kannte Herrn M., ja, und in diesem Moment geht es auch mich etwas an. Ich sitze da, mein Kaffee ist kalt geworden, "und das Leben geht weiter" tönt es aus dem Radio. 

Herr M. war mein Lehrer, aber nicht nur das, oh nein, er war ein Mensch, der mir etwas gegeben hat, was mir noch nie zuvor gegeben wurde: Er hat an mich geglaubt, und das haben nicht viele getan. Ja, und nicht nur an mich, er hat es geschafft, aus jungen Menschen, die andere schon aufgegeben hatten, etwas herauszuholen, weil er ihnen zugehört hat, weil er wenigstens versucht hat, sie zu verstehen und dies meistens auch geschafft hat, weil sie ihm nicht scheißegal waren, weil er in jedem etwas Einzigartiges gesehen hat und es hin und wieder sogar fertig gebracht hat, das aus ihnen herauszuholen.

Herr M. war eine Mischung aus Monty Python und Bert Brecht, aus Hölderlin und Anouilh, er war einer, der bei strömendem Regen zum Schwimmen ging und eine Woche vor Aufführung des Stücks anfing zu proben. Er war einer dieser letzten sympathischen Verrückten auf der Welt, die noch Ideale hatten und an ihre Träume glaubten. Er war jemand, für den man sich angestrengt hat, nicht um in Deutsch, Geschichte und Ethik eine gute Note zu haben, sondern um diesen Menschen nicht zu enttäuschen und um ihm zu beweisen, dass man es schaffen kann, wenn man wirklich will und wenn es Menschen gibt, die neben einem stehen wie er. Einer, der immer da war und der für mich eine Selbstverständlichkeit geworden ist, ein Teil meines Lebens! Darum kann ich seinen plötzlichen Tod auch nicht begreifen, weil eine Selbstverständlichkeit doch nicht einfach so verloren gehen kann.

Aber vielleicht sollte man nie damit anfangen, einen Menschen als Selbstverständlichkeit zu sehen, weil man darüber vergessen könnte, dass auf dieser Welt nichts selbstverständlich ist und alles sehr schnell zu Ende sein kann. Deshalb kann ich auch keine Trauer empfinden, dass Herr M. tot ist, weil er für mich nicht gestorben ist. Er lebt in mir und allen anderen, die ihn gekannt, geschätzt, gemocht und verehrt haben, weiter, weil er lebendig bleibt in unseren Herzen und ich ihn nie enttäuschen könnte. Mir und meinem weiteren Leben wird er erhalten bleiben, weil er ein Teil meines Denkens, Handelns und Wissens geworden ist und ich tiefe Dankbarkeit empfinde für sein kurzes Leben. Diese Dankbarkeit geht über meine Trauer hinaus und ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden.